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Szenenwechsel

Sie saß seit Stunden an ihrem Schreibtisch vor dem großen Fenster zum Hinterhof. Die Sonne stand hoch am Himmel und schien erbarmungslos auf die seit Wochen von Dürre geplagte Stadt. Kein Regen weit und breit und auch der Wind hatte nachgelassen. In regelmäßigen Abständen rollten kleine feine Schweißperlen über ihre Stirn und ihren Nacken entlang. Während sie so dasaß und nach einem passenden Anfang für ihren neuen Roman nachdachte tönte leise "Pink Martini" aus den Boxen. Normalerweise inspirierte sie diese Musik, vermittelte sie ihr das Gefühl von Entspanntheit, Gelassenheit und ließ ihren Gedanken freien Lauf. Nicht so heute. Wie versteinert starrte sie auf den Bildschirm, tippte gelegentlich ein paar Zeilen - um sie ein paar Minuten später wieder zu löschen. Nach einer Weile gab sie entnervt auf, schob die Denkblockade auf die Hitze, nahm die Lederhose und den Helm aus dem Schrank und atmete tief durch als sie 20 Minuten später den kühlen Fahrtwind im Gesicht spürte...

Es war jetzt kurz nach drei, blieben also noch gut 3 Stunden bis zum Training. Noch nicht ganz schlüssig, ob sie an den Strand oder einfach nur ein wenig über die Landstraßen fahren sollte, setzte sie den Blinker rechts und verließ die A1. Die Rappsfelder standen in voller Blüte und tauchten die Landschaft in ein sattes Gelb. Wären da nur nicht diese ganzen Käfer! Klatsch, klatsch! Innerhalb kürzester Zeit war das Visier zu einem Friedhof für Fliegen und Co. mutiert.

Plitsch, platsch. Plitsch, platsch. Unzählige kleine Kieselsteine flogen in unregelmäßigen Abständen durch die Luft um wenig später auf dem Grund der Trave zu landen. Sie saß am Ufer, blickte ins tief blaue Wasser und ließ die Gedanken treiben... Würde sich denn wirklich jemand hier die Zeit nehmen um ihre Geschichte zu Ende lesen? Aus eigener Erfahrung wusste sie, dass man meist nur die ersten Zeilen ließt, und dann meist den Rest des Textes nur kurz überfliegt. Die ersten Worte müssen also perfekt sein, den Leser fesseln und neugierig machen, so dass er immer weiter lesen, ja gar nicht mehr aufhören will. Welch schwieriges Unterfangen. Aber was macht jemanden neugierig? Nur ein kurzer Satz oder eine ausführliche Beschreibung? Nach über einem viertel Jahr Beobachtung und einer unzähligen Anzahl gelesener Kurzgeschichten, fehlte es vielen Texten an Kreativität. Sie waren einfach dahin geschrieben und viele zudem noch recht einfallslos. Waren die Personen hinter den Geschichten tatsächlich alle so unternehmenslustig, sportlich, humorvoll und begehrenswert wie sie ihrer Umwelt klar machen wollten? Nun denn, wie auch immer. Inspiration für ihren Roman fand sie jedenfalls nur in Maßen.

Aufgeschreckt durch eine Möve, nahm sie nach kurzem Blick auf die Uhr ihre Sachen, lief die Böschung hinauf und betrat wenig später das Dojo. Befreit von den Gedanken des Tages wirbelte sie um ihre eigene Mitte und schöpfte neue Kraft.